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Das heutige Konzert steht unter dem Motto „Ost-West“ und stellt zwei gewichtige und umfangreiche Kompositionen des 20. Jahrhunderts einander gegenüber - zunächst ein Werk aus der „westlichen“, nach der Pause eines aus der „östlichen“ Kulturhemisphäre.
George Gershwins Vorfahren stammten aus Russland; seine Eltern waren 1891 in die USA ausgewandert. Sein älterer Bruder war der später sehr bekannte Liedtexter Ira Gershwin. Als die Eltern 1910 ein Klavier für die Musikstunden Iras kauften, war es George, der bald darauf spielte. Sein Lehrer Charles Hambitzer lehrte ihn konventionelle Klaviertechniken und ließ ihn europäische Meisterwerke spielen. Er ermutigte ihn auch, Orchesterkonzerte zu besuchen, worauf Gershwin versuchte, die gehörte Musik zu Hause am Klavier zu reproduzieren.
Ab 1914 arbeitete er als „Hauspianist“ bei einem New Yorker Musikverlag, wo es seine Aufgabe war, Bandleadern und Theateragenten neue Lieder des Verlages vorzuspielen und sie ihnen zu verkaufen. Dadurch angeregt begann er, eigene Lieder- und Tanzstücke zu komponieren.
Einen ersten großen Erfolg hatte Gershwin zehn Jahre später mit der Uraufführung seiner „Rhapsody in Blue“ (die Originalfassung für 2 Klaviere wurde von Ferde Grofé instrumentiert), bei der so gut wie alle führenden Persönlichkeiten der New Yorker Musikwelt und Gesellschaft zugegen waren. Darunter befand sich auch der Dirigent Walter Damrosch, der Gershwin mit der Komposition eines Klavierkonzertes beauftragte, unter der Zusicherung von sieben Konzerten in New York, Philadelphia, Washington und Baltimore, die Gershwin selbst als Solist musizieren sollte.
Dieses „Concerto in F“, das am 3.12.1925 in der New Yorker Carnegie Hall uraufgeführt wurde, folgt zwar dem dreisätzigen Schema der traditionellen Solokonzerte und bedient sich zahlreicher verarbeitungstechnischer Muster derselben, zeigt aber - noch mehr als die „Rhapsody“ - Gershwins kompositorische Eigenständigkeit (die mit einem großen improvisatorischen Einfallsreichtum einhergeht; im Autograph sind manche Klavierpassagen nicht ausgeschrieben und dürften von Gershwin bei der Aufführung improvisiert worden sein). Das Werk, das er - im Gegensatz zur „Rhapsody“ - selbst orchestrierte, stellt eine einmalige Synthese zwischen klassischer Form, sinfonischem Stil und der Verschmelzung mit Jazzelementen (betreffend die Harmonik und Rhythmik) dar. Dieses Genre zwischen gehobener Unterhaltungsmusik und gefälliger „ernster“ Musik fand in diesem Werk (zu dem es wohl kein vergleichbares zweites gibt) seinen vielleicht vollendetsten Ausdruck.
Vom Publikum und der Kritik wurde das Klavierkonzert zurückhaltender aufgenommen als die „Rhapsody“; dennoch schien es 1930 (als einzige amerikanische Komposition) auf einer Liste der „50 besten musikalischen Werke“ auf.
Gershwin, der selbst - wie die Tondokumente beweisen - ein überaus virtuoser Pianist war (ebenso wie ein begabter Hobbymaler - er porträtierte 1937 Arnold Schönberg), wurde eine äußerst hohe Wertschätzung zuteil. Als er etwa Maurice Ravel 1928 um Unterricht bat, antwortete dieser: „Sie brauchen keinen Lehrer - gehen Sie Ihren eigenen Weg!“ Igor Strawinsky, den er im selben Jahr auf einer Europareise kennenlernte, hielt sein Klavierkonzert für „ein Meisterwerk“, und Aram Chachaturjan bezeichnete Gershwins 1935 entstandene Oper „Porgy and Bess“ als „eine der besten modernen Opern überhaupt“.
Gershwin konnte sich seiner Erfolge nicht lange freuen - er starb, noch keine 39 Jahre alt, 1937 während einer Hollywood-Reise an einem Gehirntumor.
Dmitri Schostakowitsch war sicher einer der bedeutendsten russischen Komponistenpersönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Wie kaum ein anderer stand er im Spannungsfeld zwischen politischem Druck und dem Wunsch nach individueller kompositorischer Freiheit; ein Kampf, der ihn schwer zeichnete. Einen entscheidenden Einschnitt in seinem Leben löste der (auf Veranlassung von Stalin geschriebene) Zeitungsartikel „Chaos statt Musik“ in der „Prawda“ vom 28.1.1936 aus, in dem Schostakowitschs Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ als nicht der kommunistischen Kulturideologie gemäß verurteilt wurde. Ein zweiter Angriff erfolgte 1948 durch das Zentralkomitee der KPdSU, der sich diesmal auch gegen Komponistenkollegen richtete.
Schostakowitsch sah sich sein ganzes Leben gezwungen, offiziell anders zu handeln als privat. „Heute denke ich manchmal nach“, schrieb er in seinen Memoiren, „wie es kam, dass ich überlebte. Ich glaube, das hing mit den Filmen zusammen… Bei uns ist der Film eine wichtige Kunstform. Das hat schon Lenin gesagt. Stalin hat diesen Gedanken mit Leben erfüllt und leitete persönlich die Filmindustrie….er hatte seine eigenen konfusen Vorstellungen, wer was konnte. Er entschied: Schostakowitsch kann Filmmusik schreiben.“
Nicht, dass Schostakowitsch das sehr behagte, doch „in Anbetracht der Umstände wäre es verrückt gewesen, Aufträge für Filmmusiken abzulehnen“. Erfahrungen hatte er schon in seinen Studentenjahren – auch durch bittere finanzielle Nöte bedingt – als Stummfilmpianist im Kinotheater „Aurora“ in Leningrad (dem heutigen St. Petersburg) gesammelt, wo er Abend für Abend die Handlung auf der Leinwand mit Improvisationen am Klavier zu begleiten hatte. Schostakowitsch beklagte sich auch über die Degradierung der Filmmusik zum Illustrationsmaterial, wobei es stets ganz bestimmte Standardnummern gab: einen Trommelschlag beim Eintritt eines neuen Helden, ein munterer energischer Tanz für den positiven Helden, einen (westlichen) Foxtrott für die „Zersetzung“, eine muntere Musik für das glückliche Finale. Schostakowitsch zerbrach auch fast am inneren Konflikt, der Verpflichtung in einem totalitären Staat nachzukommen, linientreue und propagandistische Filmsujets zu vertonen.
Schostakowitsch schrieb insgesamt rund 40 Filmmusiken, die trotz der oft widrigen Umstände ihrer Entstehungsgeschichte musikalisch großartige Kompositionen darstellen, weil sie im Ton ähnlich gehalten sind wie viele seiner Konzertmusiken und sich damit – neben ihrer formalen Geschlossenheit – durch den Pluralismus ihrer Ausdrucksmittel und die brilliante Orchestrierung auszeichnen.
Die Filmmusik zu „Die Hornisse“ (manchmal auch unter dem Titel „Die Stechfliege“ zu finden; engl. „The Gadfly“, russ. „Ovod“) stammt aus dem Jahre 1955, also aus einer Zeit, wo sich – nach Stalins Tod – manche Repression zu lösen begann. Der – heute völlig unbekannte – Farbfilm unter dem Regisseur Alexander Feinzimmer war seinerzeit ein großer Kinoerfolg. Die Handlung basiert auf einem Roman der englischen Autorin Ethel Lilian Volnyich (1864-1960) – die selbst mehrere Jahre in Russland lebte und nach ihrer Rückkehr nach England eine wichtige Figur in der Organisation der „Gesellschaft für die Freiheit Russlands“ war - und spielt im Italien des 19. Jahrhunderts, also vor dem Hintergrund der nationalen Einigungsbestrebungen Italiens und dem Versuch, die Fremdherrschaft anderer Nationen (v. a. Österreichs) sowie auch den Einfluss der (katholischen) Kirche (v. a. die weltliche Machtausübung in Form des Kirchenstaates) abzuschütteln und zu beseitigen. Erzählt wird von den Abenteuern und dem heroischen Tod eines Freiheitskämpfers (der der illegitime Sohn eines Kardinals ist), der aufgrund seiner Schlagkraft „Stechfliege“ („Hornisse“) genannt wird.
Es verwundert nicht, dass ein Buch mit einer derartigen Thematik (und das darüber hinaus mit einer sehr religionskritischen Haltung durchsetzt war) vor allem in der Zwischenkriegszeit in der damaligen Sowjetunion (und später auch in China) äußerst populär war. Als 1955 der Film dazu gedreht wurde, waren in der Sowjetunion bereits 2,5 Millionen Exemplare des Romans verkauft (einen Erfolg, von dem die damals noch lebende Autorin übrigens keine Ahnung hatte).
Schostakowitsch hat aus der gesamten Filmmusik 12 Nummern zu einer fast dreiviertelstündigen Suite zusammengestellt, in der sich alle Stärken und vielschichtigen Facetten seines Kompositionsstiles – von groß orchestrierten, bombastischen Klangmassen bis zu zarten, langen melancholischen Streicherkantilenen, und von komplexen Kompositionsstrukturen wie einem ausgedehnten Variationssatz im Mittelteil der Nr. 7 bis hin zu echten Gassenhauern - wiederfinden.
l.: George Gershwin / r.: Dmitrij Schostakowitsch
Karl Eichinger
Karl Eichinger studierte Klavier und Instrumentalpädagogik an der Wiener Universität für Musik und darstellende Kunst sowie Konzertfach Klavier an der MUK Wien; weiters Jazzklavier bei Rudi Wilfer. Meisterkurse bei Oleg Maisenberg und Rudolf Kehrer.
Als Solist hat Karl Eichinger mit zahlreichen Orchestern wie u. a. dem Tonkünstler Orchester, den Brünner Philharmonikern, der Mährischen Philharmonie, dem Wiener Concert-Verein, dem Kazhak Symphony State Orchestra, dem Dubrovnik Symphony Orchestra, den Berliner Symphonikern, dem Sarajewo Philharmonic Orchestra, dem Radio Symphony Orchestra Tirana musiziert und ist u. a. gemeinsam mit Künstlern wie Hans Gansch, Ildiko Raimondi, Andreas Schager, Daniela Fally, Julia Stemberger, und Cornelius Obonya aufgetreten.
Solistische und kammermusikalische Auftritte im In- und Ausland, u. a. im Musikverein Wien, Wolkenturm Grafenegg, Konzerthaus und Radiokulturhaus Wien sowie bei Festivals wie den Bregenzer Festspielen, den Wiener Festwochen, den Festwochen Gmunden, beim Klangbogen Wien, beim Carinthischer Sommer, dem Kammermusikfestival Austria „Allegro Vivo“, u. v. a.
Tourneen führten Karl Eichinger in viele Länder Europas, nach Nordamerika, China und Ägypten. Er hat sich eingängig mit dem Werk Gershwins und Ravels beschäftigt (dokumentiert durch eine hervorragend rezensierte CD-Aufnahme mit den Brünner Philharmonikern 2021). Im August 2024 gastierte er mit einer großen George Gershwin Gala (Concerto in F u. a.) am Wolkenturm Grafenegg.
2009 wurde ihm das Silberne Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, 2023 der Berufstitel „Professor“ durch den Bundespräsidenten verliehen. Seit 2024 ist Karl Eichinger Intendant der Internationalen Konzerttage Stift Zwettl.