Amstettner Symphonieorchester


Programmeinführung Frühlingskonzerte 2019


Jede europäische Nation hat ihre Symbolgestalt für den Spätbarock. Für die Franzosen ist es das Louis Quinze, die Epoche Ludwigs XV., für die Portugiesen die große Zeit König Joao V., für die Deutschen die Bachzeit und für die Engländer die Ära des Premierministers Horace Walpole. In Norwegen ist es der Dichter Ludvig Holberg, den die gesamte Nation mit jener Zeit identifiziert. Der große Sohn der Stadt Bergen wurde 1684 geboren, ein Jahr vor Bach und Händel, und drückte als Philosoph, Dichter und Humorist der Epoche seinen Stempel auf.
Als seine Heimatstadt 1884 seinen 200. Geburtstag feierlich beging, trug der damals berühmteste Bewohner Bergens, Edvard Grieg, mit einer Kantate für Männerchor und einer Klaviersuite zum Gelingen des Jubiläums bei. Auf einer Reise nach Berlin instrumentierte Grieg die Klaviersuite „Aus Holbergs Zeit“ für Streichorchester. Es wurde eines seiner bis heute populärsten Werke. Obwohl Grieg das Stück nicht besonders mochte, gilt die Suite neben den Streicherserenaden von Dvorak und Tschaikowsky als das dritte große Werk der Spätromantik für Streichorchester.
Was Grieg hier mit den Mitteln des romantischen Streicherklangs wiederbelebte, war die spätbarocke Orchestersuite mit ihren französischen Tanzformen. Er benutzte vier der beliebtesten Barocktänze, Sarabande, Gavotte, Musette und Rigaudon, denen er ein Präludium voranstellte und eine Air beigab.
Das Präludium verbreitet festliche Stimmung; aufsteigende Skalen im punktierten Rhythmus erinnern an die französischen Ouvertüren des Barock. Darauf folgt als erster Tanzsatz die langsame Sarabande, die hier aller barocken Erdenschwere beraubt ist und träumerisch-süß erscheint. Auch die – überaus heitere - Gavotte entbehrt der charakteristischen Schwere eines barocken Schreittanzes; ihr folgt als zweiter Teil eine rustikale Musette, ein Tanz, der dem Dudelsack seinen Namen verdankt und dessen bordunartige Begleitung im Bass zu hören ist. Als lyrischen Kontrapunkt ließ Grieg eine Air in g-Moll folgen, einen melancholischen Gesang, den er als “religiöses Andante” – also quasi als Gebet - bezeichnete. Vielleicht nahm er dabei Bezug auf die berühmte Air aus der 3. Orchestersuite von J. S. Bach. Den delikaten Schlusspunkt setzt ein Rigaudon, ein schneller, geradtaktiger Tanz, wobei Grieg hier auch eine Solovioline sowie eine Solobratsche einsetzte.

Um die Wende zum 19. Jahrhundert gab es vermehrt Versuche, der auf Naturtönen basierten Trompete zu einer durchgehenden chromatischen Skala zu verhelfen – durch spezielle Stopftechniken, Zugmechanismen oder das Anbringen mehrerer, durch Klappen verdeckter Löcher. So sensationell diese Neuerungen den Zeitgenossen erschienen, so sehr waren sie doch mit klanglichen Einbußen verbunden, denn die durch die Klappen ermöglichte Verkürzung der Luftsäule veränderte den Klang und die Farbe; das Instrument büßte auch an Kraft ein. Felix Mendelssohn-Bartholdy etwa berichtete dem befreundeten Klarinettisten Heinrich Bärmann am 14. 2. 1831 in einem Brief aus Rom: „Noch muß ich nachholen, daß die Trompeter durchgängig auf den verfluchten Klappentrompeten blasen, die mir vorkommen wie eine hübsche Frau mit einem Bart oder wie ein Mann mit einem Busen – sie hat eben einmal die chromatischen Töne nicht und nun klingt´s wie ein Trompetencastrat, so matt und unnatürlich.“ Die klanglichen Probleme konnten erst im Laufe des 19. Jahrhunderts mit der Entwicklung der Ventiltrompete – bei der die Luftsäule im Gegensatz zum Klappeninstrument verlängert wird – gelöst werden.
Fatal für das Schicksal der Klappentrompete erwies sich weiters, dass die bautechnischen Experimente zumeist an einzelne Musiker gebunden waren, die ihr mühsam erworbenes Wissen nicht gerne mit anderen Interessenten teilen wollten. Einer dieser Virtuosen war der kaiserliche Hoftrompeter Anton Weidinger, der als Solist eine hohe Reputation besaß und bei einigen der bedeutendsten Komponisten seiner Zeit schöpferisches Interesse hervorrief. 1796 schrieb Joseph Haydn (der Trauzeuge bei der Hochzeit des Trompeters war) für Weidinger sein berühmtes Es-Dur-Konzert. Auch Johann Nepomuk Hummel zeigte sich gegenüber Weidingers neuem Instrument aufgeschlossen. Sein Trompetenkonzert E-Dur ist mit 8.12.1803 datiert und wurde am 1.1.1804 als Teil der Tafelmusik bei einem öffentlichen Bankett des kaiserlichen Hofes uraufgeführt. Das Werk ist für ein weit mensuriertes, mit fünf Klappen versehenes und auf dem Grundton E basierendes Instrument gedacht. Das Autograph lässt vermuten, dass Komponist und Interpret eng zusammengearbeitet haben. Darüber hinaus weist die Partitur einige – wohl bewusst gemachte – Anspielungen auf: So erinnert das Hauptthema des Kopfsatzes an die Eröffnung von Mozarts „Haffner“-Sinfonie; Gestus und Gangart des 2. Satzes erinnern an den langsamen Satz aus Mozarts C-Dur-Klavierkonzert KV 467, und bei dem marschartigen Einschub im Schlusssatz des Trompetenkonzertes handelt es sich gar um ein wörtliches Zitat aus Luigi Cherubinis sehr erfolgreicher Opera comique „Der Wasserträger“, die ab August 1802 im Theater an der Wien sowie im Kärntnertortheater gespielt wurde.
Nachdem sich seit Ende des 19. Jahrhunderts die Verwendung der Trompete in B durchgesetzt hatte, fand das Werk in einer nach Es-Dur transponierten Fassung Eingang in das virtuose Trompetenrepertoire, die 1957 durch Fritz Stein erstmals herausgegeben wurde und auch heute zu hören ist.

Um 1800 machte sich bei Ludwig van Beethoven seine beginnende Ertaubung zunehmend bemerkbar und zwang ihn, sein Leben sukzessive umzukrempeln (auch wenn bis zur vollständigen Taubheit noch mehr als 10 Jahre vergehen sollten). Seine Karriere als Pianist konnte er kaum mehr weiterverfolgen; die Tätigkeit als Komponist wurde bedeutender, zumal sich Beethoven längst zu einem reifen Komponisten mit eigener Tonsprache, die auch übliche formale Rahmen zu sprengen begann, entwickelt hatte.
Beethovens Ouvertüre „Coriolan“ (zum gleichnamigen Drama von Heinrich Joseph von Collin) stammt aus dieser Reifezeit. Die geschichtliche Figur des römischen Patriziers Gnaeus Marcius Coriolanus wurde aus Rom verbannt, da er versucht hatte, durch Zurückhalten von Lebensmitteln das Volk zu nötigen, ihm seine Rechte zurückzugeben. Daraufhin verbündete er sich mit den Feinden Roms und griff seine Heimatstadt an. Nachdem klar geworden war, dass Rom mit Waffen nicht mehr verteidigt werden konnte, versuchte eine Gesandtschaft adeliger römischer Frauen, darunter Coriolans Mutter und seine Ehefrau, zunächst durch Bitten und Flehen Coriolan zum Rückzug der Truppen zu bewegen. Schließlich gelang es seiner Mutter (weniger durch Bitten als vielmehr durch Fordern und Appellieren an seine Pflichten gegenüber der Heimat), ihm den Frieden abzufordern. Collin machte für sein Schauspiel aus der Person des Coriolan einen zwiespältigen Helden, der einerseits durch geradliniges Handeln nach außen hin überzeugen möchte, andererseits durch sein aufbrausendes Wesen eine innere Unsicherheit verrät. Ebendiese Charakterzüge thematisiert Beethoven in seiner Ouvertüre, die er mit drei mächtigen, langgezogenen Streicherunisoni einleitet, die jeweils durch abgerissene Tuttischläge abrupt beendet werden. Doch diesem herrischen Motiv folgt ein Streicherthema, das in seiner metrischen Willkürlichkeit die Selbstsicherheit der Einleitung in Frage stellt. Dieses Unruhemotiv führt in ein aufbrausendes Tutti über, das die Gefühlswallungen des Titelhelden darstellt, und endet schließlich in einer weichen, anmutigen Streicherkantilene: Das Flehen der Frauen um Frieden. Dieses Bitten und Flehen bestärkt den inneren Zweifel Coriolans an seinem Handeln. Aus diesem Spannungsfeld, den Pflichten der Heimat und der Familie gegenüber einerseits, dem Fahneneid den verbündeten, gegen Rom gerichteten Truppen gegenüber andererseits, gibt es für Coriolan keinen Ausweg. Collins Drama endet mit dem Selbstmord des Titelhelden, Beethoven beendet seine Ouvertüre mit dem langsam ersterbenden Unruhemotiv. Mit drei kaum hörbaren Pizzicatotönen der Streicher endet das Stück; in der heutigen Aufführung folgt darauf attacca ohne Unterbrechung seine „Schicksalssinfonie“.

Die ersten Aufzeichnungen zu dieser 5. Sinfonie von Ludwig van Beethoven reichen bis in das Jahr 1800 zurück, die ersten niedergeschriebenen Skizzen datieren aus 1803 und 1804 - also zwischen dem Abschluss seiner 3. Sinfonie, der „Eroica“, und noch vor dem Beginn der 4. Sinfonie in B-Dur. Diese wurde aber bereits im Herbst 1806 beendet, wogegen die Fertigstellung der c-moll-Sinfonie in der Zeit von April 1807 bis Frühjahr 1808 – also kurz nach der Komposition der „Coriolan“-Ouvertüre – erfolgte. Die Sinfonie wurde – neben Beethovens 4. Klavierkonzert, der 6. Sinfonie, der „Chorfantasie“, Teilen aus der C-Dur-Messe sowie einer Konzertarie - am 22.12.1808 im Rahmen eines vierstündigen Konzertes im Theater an der Wien erstmals gespielt. Die Uraufführung war kein Erfolg, Das Programm war stark unterprobt und das Theater unbeheizt. Ein Zeitgenosse schrieb: „Sänger und Orchester waren aus sehr heterogenen Theilen zusammengesetzt, und es war nicht einmal von allen auszuführenden Stücken, die alle voll der größten Schwierigkeiten waren, eine ganze vollständige Probe zu veranstalten, möglich geworden“.
Der Beiname „Schicksalssinfonie“ stammt – im Gegensatz zur „Pastoralen“, der 6. Sinfonie, wo Beethoven diese Bezeichnung selbst in der Partitur vermerkte – nicht von Beethoven, sondern von seinem Sekretär und Biographen Anton Schindler. Auf die Frage nach dem Eingangsmotiv der 5. Sinfonie soll Beethoven Schindler geantwortet haben: „So pocht das Schicksal an die Pforte“. Ob diese Aussage authentisch ist, bleibt fraglich, zumal man Schindel vorwirft, dass er „sich im Laufe der Jahre immer mehr Mühe gegeben hat, seine Nähe zu Beethoven besonders eng darzustellen und immer mehr Sachen ausschmückte“.
Das Werk wurde (und wird auch heute noch) vor allem im Sinne eines Schicksalsdramas als eine musikalisch objektivierte Erzählung von Niederlage und Triumph, vom ewigen menschlichen Schicksalskampf, von Leid und Erlösung interpretiert. Ähnliche wie Beethovens 9. Sinfonie mit ihrer „Ode an die Freude“ behandelt sie dieser Deutung zufolge mit ihrem „per aspera ad astra“, ihrem Weg durch die Nacht zum Licht (in diesem Fall vom düsteren c-moll des Kopfsatzes zum strahlenden C-Dur des Finalsatzes), einen grundlegenden Gedanken der europäischen Kultur. Jedenfalls hat das Werk formal, inhaltlich und auch besetzungsmäßig maßgeblich das sinfonische Schaffen des 19. Jahrhunderts beeinflusst.
Der erste Satz ist das Musterbeispiel für die Verwendung der klassischen Sonatenhauptsatzform mit Exposition (Hauptthema, Seitenthema, Schlussgruppe), Durchführung, Reprise und Coda. Klarer und kompakter kann diese Form wohl nicht dargestellt und erlebt werden. Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass das Hauptthema aus einem einzigen kurzen, rhythmisch prägnanten Motiv besteht, und dass das Seitenthema eine sehr untergeordnete Rolle spielt. Schon bei seinem ersten Auftreten wird es vom Rhythmus des Hauptthemas in den Bässen begleitet, wodurch sich eine starke Tendenz zur Monothematik ergibt, die auch in Sinfonien von Joseph Haydn zuweilen vorkommt.
Der zweite Satz ist charakterlich völlig anderes konzipiert. In As-Dur, der 6. Stufe der Grundtonart c-moll stehend, entwickelt sich ein Variationssatz mit einem gesanglichen, aber dennoch rhythmisch markanten Thema. Die strahlenden C-Dur-Einwürfe der Hörner und Trompeten deuten bereits auf den Gehalt des letzten Satzes hin.
Der dritte Satz ist ein an dieser Stelle übliches Scherzo, das von Beethoven aber nicht mit dieser Bezeichnung versehen wurde. Inhaltlich (wie auch in formalen Details) weicht es auch vom üblichen Scherzo-Charakter und -Schema ab. Der Beginn ist eine düstere, weit ausschwingende und suchende Melodie in den tiefen Streichern, die wieder in der Haupttonart c-moll steht. Das Trio ist ein zunächst wildes Fugato, das in eine verkürzte Scherzo-Reprise, die von geisterhaften Streicherpizzicati erfüllt ist, mündet. Über einem liegenden Streicherklang treibt die Pauke das Geschehen rhythmisch voran, und nach einer gewaltigen Steigerung setzt attacca das Finale in strahlendem C-Dur ein.
Zur Steigerung des triumphartigen Charakters, der sich auch in dem C-Dur-Dreiklangsmotiv sowie in einem marschartigen Duktus manifestiert, erweiterte Beethoven das Orchester für diesen Schlusssatz um eine Piccoloflöte, ein Kontrafagott sowie um drei Posaunen – die bis dahin größte Orchesterbesetzung in der Geschichte der Sinfonie. Die Tendenz, dass sich in diesem Werk der Schwerpunkt vom Anfangs- in den Schlusssatz verschiebt, hat zu einer weiteren Bezeichnung der Sinfonie geführt. In Frankreich wird das Werk nicht als „Schicksalssinfonie“, sondern als „chant de victoire“ – also als Siegeshymne – bezeichnet.

Edvard Grieg     Johann Nepomuk Hummel     Ludwig van Beethoven

v. l. n. r.: Edvard Grieg, Johann Nepomuk Hummel, Ludwig van Beethoven


Lukas Zeilinger


Lukas Zeilinger

Der Trompetenvirtuose Lukas Zeilinger ist gebürtiger und praktizierender Waldviertler. Nicht unweit von seiner Heimatstadt Edelsreith besuchte er das Stift Melk als mäßig braver Schüler und konnte es sogar bis zur erfolgreichen Reifeprüfung schaffen. Nach jahrelanger, schweißtreibender und ansatzraubender Ausbildung in Münichreith am Ostrong bei Prof. Gerhart Banco, in Wien bei Prof. Hans Plank und in Salzburg bei Prof. Hans Gansch startete Lukas Zeilinger seine Orchesterlaufbahn als Solotrompeter in der Bad Reichenhaller Philharmonie. Kurz darauf wechselte er ins philharmonische Staatsorchester Mainz, wo er von 2013 bis Ende 2015 an der Solotrompete zu hören war. Seit Jänner 2016 ist er im Orchester des Nationaltheaters Mannheim wiederum als Solotrompeter angestellt. Zudem kommt noch ein Lehrauftrag für Trompete in Mainz (2017-2018) und seit 2018 an der Hochschule für Musik in Saarbrücken. Lukas Zeilinger versucht die Waldviertler Mentalität in den verschiedensten Regionen Deutschlands zu verbreiten, was ihm trotz der Sprachbarriere teilweise schon gelungen ist.



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